Überlegungen 2002

Überlegungen zu einem elektronischen Klassenzimmer im Maßstab „EINE WELT“


Der Autor dieses Artikels ist seit 25 Jahren Religionslehrer an einem Berufskolleg, kein Informatiker, kein Computerspezialist, auf diesem Hintergrund sind die folgenden Anmerkungen zu lesen. Im übrigen sind alle hier beschriebenen Einrichtungen in Marl in Betrieb und können gerne besichtigt und ausprobiert werden.

Die unglaublich rapide Entwicklung der Menschheitsgeschichte der letzten 10000 Jahre ist ohne die Erfindung abstrakter Zeichensysteme nicht erklärbar. Sesshaft werdende Kulturen benötigen Zahlen und Zeichen, für Besitzstände, zur Fixierung von Regeln, zur Kennzeichnung von Individualgeschichte. Ägyptische, jemenitische, assyrische, ugaritische Zeichensysteme lassen Hochkulturen erst heranwachsen, organisieren Macht und Herrschaft. Für die Politik der Antike bald unverzichtbare Instrumente.

M.E. eröffnet das binäre Zeichensystem, in Verbindung mit moderner Nachrichtentechnik heute eine Zeitenwende, eine neue Entwicklungsstufe, die wohl erst von späteren Generationen, aus historischer Distanz, gewertet werden kann. Der jetzt universale Code virtualisiert jegliches Wissen, transformiert, delokalisiert, globalisiert in Echtzeit. Dass sich das logistische Zentrum der derzeitigen amerikanischen Intervention in Florida befindet, ist so ein kleines, militärgeschichtliches Mosaiksteinchen für diese Zeitenwende, von denen dem Leser sicherlich eine Menge weiterer einfallen werden.

Die Geschichte kennt ungezählte Beispiele über sehr unheilige Beziehungen von Wissen und Macht, politischer wie wirtschaftlicher. Daß beim Einzug der Informationstechnologie die uralten Paradoxien von Freiheit und Gleichheit in manchmal sehr beängstigender Virulenz erscheinen, ist nicht verwunderlich und verlangt größe Wachsamkeit.

Lernen in einer Gesellschaft der Informationstechnologie wertet die virtuelle Dimension um ein vielfaches auf, der Zugang zum Wissen wird allgemein und als Information instrumentalisiert. Im globalen Dorf wird Wissen allgemein verfügbar.

Information und Wissen sind aber sorgfältig voneinander zu unterscheiden. Schule ist Ort der Wissensvermittlung, Computer sind Informationsmaschinen, die sozusagen in der Lage sind, Wissen in Aktion zu halten, also Hilfsmittel, nicht mehr und nicht weniger.

Im Grunde genommen erscheint das alles sehr einfach, ist es aber wohl nicht, wie aktuelle Untersuchungen verdeutlichen: da gibt es einen Anteil an "Netzverweigerern", der etwa die Hälfte der Bevölkerung betrifft (und sich auch bei Jugendlichen mit ca.35% findet), da gibt es die PISA Studie, die besagt, daß es mit der Wissenvermittlung signifikant schlecht bestellt ist. Rechnen und einen Taschenrechner bedienen, schreiben und ein Textverarbeitungsprogramm ausführen, das sind nicht nur verschiedene Tätigkeiten, das sind verschiedene Welten. Hieraus resultiert bei manchen "alten" Wissensvermittlern die Meinung, Informationsmaschinen brauche man eigentlich garnicht für gute Schule.

Für den Autor erscheint es umgekehrt als eine interessante Herausforderung, öffentliche Schule zu einem Ort zu formen, an dem Lernen mit der Informationsmaschine langfristig zu einem Lernen in einer Informationsgesellschaft wird.

Die Problematik besteht also gar nicht darin, für Schulen genügend Computer anzuschaffen – die hier gemachten Vorschläge erweisen ja gerade, wie einfach das sein könnte - , sondern die verschiedenen Lerndimensionen in Schule neu zu ordnen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß wir mit Jugendlichen zusammenarbeiten, die bereits komplett in einer Medienwelt mit sehr veränderten Orientierungsmöglichkeiten aufwachsen. Sie erleben in einem hohen Maße bereits Menschen als mediale, als "virtuelle" Wesen, gedopt, "geplaybackt", maskiert als "Image". Die komplexe Wechselwirkung von Virtualität und Realität wirkt auf ihre Persönlichkeitsentwicklung anders als auf die bereits erwachsenen Generationen davor.


Als es noch keinen Taschenrechner gab, wurde Kopfrechnen gepaukt und Zahlentheorie gelehrt. Die "Erleichterung" durch den Rechner kann dann, wenn Pauken und Theorie reduziert werden, geradezu die Verständnismöglichkeit von Mathematik verhindern, dasselbe gilt für schreiben und lesen und die PISA Studie beweist dies ausdrücklich.

Der vernetzte Computer stellt ein Instrument dar, dass die virtuelle Dimension in revolutionärer Weise verändert und somit unabweislich eine Neukonzeption des Gesamtgebäudes erforderlich macht. Eine solche Neuorientierung verlangt bei allen Beteiligten Umdenken, stellt herkömmliche Pädagogik und Didaktik in Frage.

Falls dies nicht gelingt, bleibt nur die allseits äußerst beliebte, allerdings ziemlich unfruchtbare Schuldzuweisungsdebatte. Die im letzten Jahr breit kolportierte Duisburger Dachdeckergesellenprüfung, bei der alle Prüflinge durchfielen, beleuchtet dies eindrucksvoll. Zitat des Obermeisters: ein Lehrling konnte nicht einmal eine Dachlatte annageln, ein anderer nicht ohne Taschenrechner m² in mm² umwandeln, aber ihr Handy bedienen und SMS verschicken, das können sie alle. Und ein Schüler: die haben uns nichts beigebracht, was uns interessiert.

Wenn Schule die virtuelle Lerndimension glaubwürdig und anerkannt integriert, dient das auch den anderen, unbedingt notwendigen , eher als Aufwertung denn als Verdrängung.

Die verschiedenen Lerndimensionen benötigen eine gewisse, gemeinsam akzeptierte Harmonik und Rhythmik zueinander, um Lernen mit Spaß und Ernst förderlich zu sein, sonst gerät Schule zu einer Art Kriegsschauplatz, wo sich "zuviel verlangende" Lehrer und "zuwenig bringende" Schüler einen sinnlosen Machtkampf liefern. Die enorme Ausweitung der technischen Möglichkeiten in der virtuellen Lerndimension bedeutet somit keineswegs ein Zurückstecken der anderen Dimensionen, eher das Gegenteil.

Umgekehrt aber würde die Ausklammerung zu einer ebenfalls sehr ungesunden Lebensferne beitragen. Informationsrecherche, Simulation, multimediale Präsentation und virtuelle Kommunikation ermöglichen gerade auch sehr spannende Übergänge zwischen rein praktischen und rein theoretischen Übungen, die sie allerdings keinesfalls ersetzen können.

Wir sind also entschlossen, daß rechnergestützte, das elektronische Klassenzimmer zu entwicklen, die Informationsmaschine zu einem Lerninstrument werden zu lassen wie Tafel und Kreide. Dabei möchten wir aber die jahrtausendealte "Pädagogik" dieses Ortes der Wissenvermittlung nicht verraten, ebensowenig möchten wir das Ideal der "Bildung für alle", das die Neuzeit uns bescherte, vernachlässigen, und letztlich ist uns die Erkenntnis unserer Zeit sehr wichtig, nach der dieser Planet insgesamt, was seine Ressourcen angeht, einer erheblichen Veränderung des menschlichen Verhaltens bedarf. Dabei wird uns auch ein bisher unerwähntes "Detail" beschäftigen müssen: die Quellcodes von über 90% der auf der Welt laufenden Rechner sind im Privatbesitz einer einzigen Firma, allein drei ihrer Mitarbeiter (Bill Gates, Steve Ballmer und Paul Allen) gehören zu den zehn reichsten Menschen auf dieser Erde und ihr Marktwert im Milliardendollarbereich ist mit den klassischen Kategorien von Geldwert und Vermögen nicht mehr zu beschreiben. Es ist die alte Auseinandersetzung zwischem persönlichen geistigen Eigentum und öffentlichem Interesse. Ohne Eigentum keine Marktwirtschaft, ohne Marktwirtschaft kein Wachstum, kein Fortschritt – diese Logik hatte immer ihre Probleme, wenn mit Fortschritt auch ein kutureller und politischer gemeint sein soll. Uns geht es um öffentliche Schule, so daß sich ein offener Quellcode nahezu gebietet, zudem dieser nach all unseren Erfahrungen keinesfalls der schlechtere ist.

Unser elektronisches Klassenzimmer soll einen Maßstab setzen, der als technisches Rückgrad für Lernen in weltweiter Informationsgesellschaft standardisiert werden kann. Dabei sind einige Hypothesen von großer Wichtigkeit:

- Schule ist kein Kino und kein Standort für LAN-Partys, für Lernen ist das heutige Hardwareniveau, was Prozessorgeschwindigkeit und Speicherkapazität angeht, bereits weit mehr als ausreichend. Was immer sich die Entwickler in den nächsten Jahren an Peripherieluxus ausdenken mögen, für öffentliche Schule und ihre essentiellen Aufgaben ist es unerheblich. Sicherlich ist ein Display "schöner" als ein Monitor, eine 2MB Standleitung schneller als ISDN, für die Medienkompentenz der SchülerInnen liegen aber hier nicht die entscheidenden Kriterien.

- LehrerInnen sind Wissensvermittler, um sie für diese Aufgabe unter den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen zu qualifizieren, werden die Staaten erheblichen Aufwand betreiben müssen und als solche werden sie gebraucht, nicht aber als Tüftler, Netzwerktechniker oder Systemadministratoren.

- Hauptkriterium unseres elektronischen Klassenzimmers ist seine allgemeine Zugänglichkeit, möglichst wenig versperrt durch Spezialkenntnisse oder dicke Geldbeutel und nicht offengehalten durch mildtätige Sponsoren oder reiche Eltern.

Es entgeht uns dabei nicht, daß dieser Ansatz in unserer ersten Welt wenig Chancen auf Realisierung hat. Auch wenn der Bildungsbericht der UNESCO im Jahre 2000 ausrechnet, daß bereits 11% der weltweiten jährlichen Rüstungsausgaben einer Milliarde Menschen PC, Strom- und Telefonanschluß geben würden, und wir bedenken, daß in Manhattan mehr Telefonzellen zur Verfügung stehen als auf dem gesamten afrikanischen Kontinent, der Trend des Auseinanderwachsens ist ungebrochen, wir sind uns darüber im klaren, daß Lernen durch Konsens in in manchen Zeiten derMenschheitsgeschichte stattfgefunden hat, nicht nur das Lernen durch Katastrophen.

An dieser Stelle möchte ich jetzt die Entwicklung eines elektronischen Klassenzimmers am Hans Böckler Berufskolleg (HBBK) und den heutigen Ausrüstungsstand referieren:

Bereits 1998 haben wir am HBBK ein elektronisches Klassenzimmer vorgestellt. Der damals mit einem Kostenumfang von ca.30000.-DM mit 14 Arbeitsplätzen ausgestattete Raum hat sich bis heute zweifellos bewährt, jedoch war uns damals schon klar, dass hier ein Multimediaraum entstanden war, keinesfalls ein normaler, an allen öffentlichen Schulen betreibbarer Klassenraum. Zu groß ist einfach der mit einem solchen Raum verbundene Finanz- und Administrationsaufwand. So gesehen waren wir von dem Ziel, den Computer zu einem gewöhnlichen Lerninstrument in Schule zu machen, noch sehr weit entfernt.

Was in dem neuen Raum zu sehen ist, sind keine traditionellen Pcs mehr, sondern sogn. thin clients, laufwerkfreie, ja nicht einmal mit einem richtigen Betriebssystem ausgestattete Desktops, deren einzige Aufgabe darin besteht, mittels einer Netzkarte und eines darauf befindlichen, selbst erstellten Bootproms zum Server durchzuschalten. Das einzige mechanische Teil dieser Terminals neben dem durchaus "wegrationalisierbaren" Transformatorlüfter der Netz Ein/Ausschalter, der über einen zentralen powermanager kontrolliert ist, so daß am Arbeitsplatz selber nur Tastatur und mouse zu betätigen sind.

Auch in der Industrie wird das ThinClient Konzept zunehmend aus naheliegenden Gründen (Stichwort „Total Cost of Ownership“ – also die Gesamtkosten, die ein PC Arbeitsplatz während seiner Lebenszeit verursacht) propagiert und angeboten. Unser Projekt verwendet hier – da unterscheiden wir uns von den Industrieangeboten - ausgediente 486´Rechner mit 16 MB RAM, die bereits leider allgemein als nicht mehr umrüstbarer Computerschrott angesehen werden, und ältere 15´´ SVGA-Monitore. Wo es möglich war, haben wir die alten 10Mbit durch neue 100Mbit Netzwerkkarten - was, wie sich mittlerweile herausstellt, bei schneller Webanbindung kaum noch notwendig ist (Kosten: ca. 15.-Euro)- ersetzt und den Raum mit zwei 10/100 Switches (Kosten:jeweils 55.-Euro) vernetzt.

Kernstück eines solchen Netzwerks ist der sogenannte Terminal Server, also ein Rechner, der für die gesamte Arbeitsgruppe die Rechenarbeit im wesentlichen übernimmt. Als wir vor knapp einem Jahr unsere Überlegungen in dieser Richtung begannen, veranschlagten wir noch Hardwarekosten von mindestens 20000.- DM. Verschiedene Versuche in diesem Jahr, u.a. ein Test mit solch einem ausgeliehenen Industrieserver , sicherlich auch die stark gefallenen Preise für Prozessoren und Speicher, veranlassten uns aber schließlich dazu, den Warnungen der Fachleute nicht zu entsprechen und den Terminalserver ausschließlich mit den unbedingt notwendigen neuen Bauelementen (Board, Prozessor, Speicher, Festplatte) selbst zu konfigurieren. Hardwarekosten: 1270.- DM. Der Terminalrechner gehört nicht zum Klassenraum, bleibt weggeschlossen und unerreichbar.

Drittes Element des Projektes ist die Software des Terminalservers. Das Zentrum für Rechnerkommunikation in Göttingen, ein auf Terminalserver spezialisiertes Unternehmen mit einer Reihe von Großkunden, das mit seinem NetMan for School auch mit einem eigenen Schulkonzept auf dem Schulmarkt Fuß zu fassen sucht, berechnet für Installation, Einweisung, Support und Lizenzen für Windows 2000Server und MetaframeXP ca. 25000.-Euro. Eine durchaus seriöse Berechnung.

Unser Gegenkonzept: wir setzen auf die weltweite Gemeinde der Linux- programmierer, die gerade in jüngster Zeit sich ziemlich viele Gedanken über Terminalserver gemacht hat, verwenden ein kostenfreies Komplettpacket mit schulrelevanter Anwendungssoftware - kmLinux vom Landesbildungsserver Schleswig Holstein, das jedem Lernenden auch zuhause zur Verfügung gestellt werden kann - und vertrauen auf die immer wieder hilfsbereite Zusammenarbeit mit der LinuxUserGroup Marl.

Dieser Raum soll, anders als herkömmliche Klassenräume, während der gesamten Schulöffnungszeit jedem, der einen account besitzt, nutzbar sein. Möglich wird dies über eine, bereits hier an der Schule bewährte chipkartengesteuerte Zugangskontrolle, die in der Gesamtkalkulation dieses elektronischen Klassenzimmers schon berücksichtigt ist (100.-Euro), so bleibt der Raum auch ohne Anwesenheit von Lehrpersonen überwacht.

Da der Terminalserver sich nicht im Raum befindet, alle thinclients sich bei jedem Einschaltvorgang automatisch zurückstellen, gibt es für den Systemadministrator keine Arbeit, er kann die Verwaltung des Systems im Normalfall von zuhause aus durchführen. Im Raum selbst gibt keinen Unterschied zwischen Lehrer und Schüler"rechner", diese bestehen nur bei der Drucker- und der Userverwaltung, die browserbasiert von jedem "Rechner" möglich ist. Seit der Eröffnung des Raumes sind zwei Beobachtungen doch beachtenswert: kein einziges Mal ist von den dort ohne Anleitung arbeitenden SchülerInnen die Frage nach dem zugrundeliegenden Betriebssystem gestellt worden, die unterschiedliche Office oder andere Browsertypen blieben ebenfalls ohne Erwähnung. Ebenso ist es den SchülerInnen offensichtlich völlig verborgen geblieben zu sein, daß im Raum unterschiedliche Rechnertypen (von 66 bis 266MHz, mit 10Mbit und 100Mbit Netzanbindung) als Thinclients Verwendung finden.

Computer mit ihren aufgrund der Innovation extrem kurzen Standzeiten sind wahre Moloche der Ressourcenverschwendung, das gilt gerade auch für die enorme Steigerung an Stromverbrauch und Wärmeemission in den letzten zehn Jahren. Sie sind überhaupt nicht dazu angetan, nachhaltige Entwicklung zu fördern, sich den für die Zukunft unseres Planeten so wichtigen Forderungen der AGENDA 21 einzupassen. Eher sind sie ein typisches Produkt der "Wegwerf-" und "nach-mir-dieSintflut" Gesellschaft, also einem "EINE WELT-Maßstab" zutiefst entgegenlaufend. Da unsere "second hand Ausstattung" das Altmaterial gleichzeitig "auf den neusten Stand" bringt, ist dies auch nicht mit recycling im klassischen Sinne vergleichbar, sondern stellt eine äußerst resourcenschonende Neubewertung dar.

Weil nun einmal Wissen Macht bedeutet, gerät öffentliche Schule für alle immer wieder in Konflikt mit wirtschaftsglobalen und politischen Interessen. Dieser Konflikt ist unlösbar, es dürfte jedoch für diesen Planeten um des Überlebens willen sinnvoll sein – alle Erfahrungen der Menschheitsgeschichte lassen uns dies als Binsenweisheit erscheinen - gewisse Minimalstandards einzufordern, wie das die UNESCO, die weltweite Organisation für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation tut. Open source bei grundlegenden Informationsvermittlungssystemen wäre unseres Erachtens nach eine sehr wichtige Forderung.

Wir verwenden den Computer ja nicht in erster Linie als Lernziel, sondern als Lerninstrument, so geht es bei der Software, wie beim Betriebssystem um Grundversorgung. Es ist einfach nicht zu erkennen, trotz diesem ständig widersprechenden Geschrei, daß diese Grundversorgung, auch bei höchsten Qualitätsansprüchen, NICHT auf der Basis freier Software und eines freien Betriebssystem gewährleistet werden kann. Öffentliche Schule vermittelt Basiswissen, halt rechnen, schreiben , lesen, denken in sich steigernder Komplexität. Dieser Prozess wiederholt sich in jeder Schülergeneration ohne wesentliche Wandlungen, sondern lediglich unter anderen historischen Voraussetzungen. Es ist nicht zu erkennen, daß sich die Qualität einer Abiturklausur im Fach Deutsch, sagen wir vor dreißig Jahren, durch die Einführung eines Textverarbeitungsprogrammes in heutiger Zeit in irgendeiner Weise erhöht hätte, ein solches Programm ist aber nun eine Standardanwendung, deren Beherrschung als "selbstverständlich" angesehen werden dürfte, wobei auch hier Bedienerfreundlichkeit durchaus nur bedingt einen schulischen Wert darstellt. Auch eine Binsenweisheit über Schule: je bequemer eine Aufgabe zu erledigen ist, desto weniger fordert und fördert sie die Fähigkeit, Aufgaben zu lösen.

Entscheidend für "gute" Schule, soviel stellt sich jetzt schon heraus, ist nicht die Anzahl verfügbarer Rechner, sondern die Verfügung über die virtuelle Lerndimension. Diese wiederum benötigt eine echte Verklammerung und Wech´selwirkung mit den anderen Dimensionen. Wenn der Brockhaus als Gratis CD bereitsteht und jeder Schüler einen Laptop besäße, dann ist damit nichts erreicht. Einen "guten" Algorithmus zu schreiben, eine ästhetisch ansprechende Website zu gestalten, einen Text mit hohem Mitteilungswert zu entwerfen, hier liegen die Lernziele von öffentlicher Schule. Aus meiner Sicht muß sich das hier benötigte technische Instrumentarium keineswegs mehr am "Rüstungswettlauf" um immer höhere Verarbeitungskapazitäten und größere Speicherräume beteiligen.

Derzeit erproben Schulen - häufig mit durchaus eigennütziger Sponsorenbeteiligung - viele verschiedene Entwicklungslinien, von der umfassenden Laptopausstattung bis zu applikation server providing. Es erscheint heute unmöglich, aufgrund des sehr unterschiedlichen Wissens- und Informationsstandes, generalisierende Überlegungen anzustellen. Stellt sich unsere These als richtig heraus, daß elektronische Klassenzimmer nicht Räume an bestimmten Schulen in bestimmten Schulstufen sind, sondern einen übergreifenden Standard darstellen werden, dann werden das bei den ca. 40000 Schulen in Deutschland bespielsweise sicherlich über eine Million Räume sein.

Die Wege nach Rom reichen derzeit von "sehr lange" über "sehr kompliziert", "sehr teuer", bis zum völligen Desaster und die zur Verfügung stehenden UMTS Millionen straffen und konzentrieren die Entwicklung nicht, sie verführen zweifellos zur Verschwendung. Nach unseren Wünschen müßte die technische Konsolidierung möglichst bald schon abgeschlossen sein, damit alle Kraft und Geld der entscheidenden Aufgabe gewidmet werden könnte: der Qualifizierung der LehrerInnen und SchülerInnen.

Mit der PISA Studie im Nacken bräuchte Schule dringend langfristig durchdachte Perspektiven, die technische Innovation, Einfügung der virtuellen Lerndimension und traditionell pädagogische Leitlinien in einer praktikablen Kosten-Nutzenrelation miteinander verbänden. Wiederum bleibt uns eine Binsenweisheit: wer gute Technik einsetzen will, braucht gute Schüler, wenn gelten soll, daß nicht die Technik den Menschen formt, sondern der Mensch die Technik.

Okt.2002